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Geschichte des modernen Staates - Von den Anfängen bis zur Gegenwart
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Geschichte des modernen Staates - Von den Anfängen bis zur Gegenwart
von: Wolfgang Reinhard
C.H.Beck, 2007
ISBN: 9783406536236
129 Seiten, Download: 640 KB
 
Format:  PDF
geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: B (paralleler Zugriff)

 

 
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Leseprobe

2. Verhandlungsdemokratie und Abbau des Sozialstaates (S. 113-114)

Demokratische Partizipationsansprüche haben durch Organisation der Bürgerinteressen zur Mutation des Staates zur Interessendemokratie geführt. Politik besteht längst nicht mehr im Durchsetzen der Vorstellungen der jeweiligen Inhaber der Staatsgewalt, sondern im Aushandeln mit Gruppierungen innerhalb der Parteien und vor allem mit gesellschaftlichen Organisa tionen, die mit jenen verknüpft ein weit reichendes Mitspracherecht für das Staatshandeln und vor allem für den Staatshaushalt besitzen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Ärzte, Selbständige, Landwirte, Kirchen und andere mehr haben ihre Lobby in und bei den Parlamenten, basteln an Gesetzen und Haushalten mit und sind teilweise mit deren Ausführung befasst.

Die Folge ist Verschwinden staatlicher Gestaltungsfähigkeit beziehungsweise deren Reduktion auf Negativkoordination durch eine Art gesellschaftlicher oder marktwirtschaftlicher Selbstorganisation. Der demokratische Sozialstaat erweckt zwar mit seiner Allzuständigkeit immer noch den Eindruck von Stärke, ist aber im Hinblick auf seinen Handlungsspielraum längst zum schwachen Staat geworden. Er wurde zum Opfer der Anspruchsdynamik der von ihm selbst geschaffenen sozialpolitischen Besitzstände und der Verschuldungsdynamik, die sich daraus ergab, dass seit der ersten Ölpreiskrise in den 1970 er Jahren die öffentlichen Mittel für diese Art demokratischer Politik nicht mehr ausreichten. Die jeweiligen Inhaber der Staatsgewalt wollen an der Macht bleiben und müssen deshalb die Gunst der Wähler gewinnen.

Die Folge sind Wahlgeschenke oder zumindest eine Politik der Besitzstandswahrung, bei konfligierenden Interessen mehr oder weniger faule Kompromisse ohne Rücksicht auf die Kosten. Reichen die Steuereinnahmen nicht aus, werden die Ausgaben durch Kreditaufnahme finanziert. Ein wachsender Teil der Staatsausgaben und der Steuereinnahmen wird für den Zinsendienst benötigt. Da inzwischen selbst Zinszahlungen ebenso wie die Ablösung fälliger Verbindlichkeiten über Kredite fi nanziert werden müssen, steigt die öffentliche Verschuldung immer weiter an («Schuldenfalle»). Die Staatsausgaben liegen in vielen Ländern zum größten Teil von vornherein fest. Der verbleibende geringe Spielraum macht den Gestaltungsanspruch der Exe kutive und die Budgethoheit der Legislative zur Farce.

Der beliebte Ausweg, die verfassungsmäßige Führung öffentlicher Haushalte durch Schattenhaushalte, vor allem durch Teil- und Scheinprivatisierung zu umgehen, reduziert die öffentliche Kontrolle und gestattet es, geschönte Budgets vorzulegen. Außerdem entfällt für die betroffenen Beschäftigten der in den meisten Ländern privilegierte Status des öffentlichen Dienstes. Unter diesen Umständen ist der Sozialstaat in seiner hergebrachten Form am Ende und kann nur durch ein System von Minimalversorgung kombiniert mit kapitalgedeckter Eigenleistung ersetzt werden. Dann ließen sich Überschüsse erwirtschaften, mit denen Zinsbelastung und Neuverschuldung gesenkt werden könnten – wenn der interventionsschwache Staat die nötigen Maßnahmen aushandeln kann. Dabei kommt ihm allerdings das Verschwinden des real existierenden Sozialismus zu Hilfe.

Denn während des Kalten Krieges wurde der Sozialstaat auch deswegen ausgebaut, um die Arbeiter gegen die Verlockungen aus dem Osten immun zu machen. Inzwischen sind Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherung aber nicht mehr Teil des westlichen Verteidigungssystems, sondern bloße Hindernisse auf dem Weg zur Profi tmaximierung. Denn ein wesentliches Prinzip der neoliberalen Marktwirtschaft des entfesselten sozialdarwinistischen Kapitalismus ist die Erwirtschaftung von Renditen in einer Höhe, von der frühere Unternehmer nur träumen konnten. Paradoxerweise gehören die Pensionsfonds für die kapitalgedeckte Alterssicherung zu den härtesten Renditejägern. Dank der Massenarbeitslosigkeit lässt sich die Rendite durch Druck auf die Löhne steigern, wenn nicht zu Massenentlassungen gegriffen wird. Dank der Deregulierungspolitik des ausgehenden 20.



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